Bei allen Gesprächen, die ich in Deutschland über Erasmus geführt habe, kam irgendwann mit einiger Verärgerung die Desiderius-Erasmus-Stiftung zur Sprache. Sie ist die politische Stiftung der Alternative für Deutschland (AfD), einer relativ neuen politischen Partei in Deutschland, die inzwischen im Bundestag und in die meisten Landtagen vertreten ist. Diese AfD steht für eine radikale, konservative, nationalistische Linie und es stellt sich die Frage, warum sie ihr wissenschaftliches Institut nach Erasmus benennt.
Die Erasmus-Stiftung steht zwar nicht auf meiner Liste der zu besuchenden Institutionen, weil sie keine Bildungseinrichtung ist und auch, weil Erasmus selbst nie in der Nähe von Berlin war, aber ihre Namensgebung (Erasmus war übrigens zweite Wahl in diesem Sinne, aber der Name Gustav-Stresemann-Stiftung wurde von den Nachkommen dieses Politikers blockiert) wird auf ihrer Internetseite erläutert. So lobt die Erasmus-Stiftung ihren Namensgeber zu Recht für sein unabhängiges Denken und sein Streben nach gültigen Maßstäbe. Leider werden aber die zugrundeliegenden Prinzipien von Erasmus wie Nächstenliebe, Antifanatismus, Weltoffenheit, Menschlichkeit und verantwortungsvolle Führung nicht erwähnt. Daher ist es nur recht und billig, dass aufrichtige Erasmianer die Stirn runzeln, wenn sich eine Partei mit ganz anderen Prinzipien auf Erasmus beruft.
In der Einleitung zu seinen Bibelparaphrasen betont Erasmus, wie wichtig und wie schwierig es ist, einen überlieferten Gedanken in einen modernen Kontext zu stellen, ohne seinen Inhalt zu beeinträchtigen. Leider geht heute nicht jeder so sorgfältig mit Erasmus’ Ideen um, und die AfD ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.