„Seit Beginn des Erasmus-Programms haben 15 Millionen Europäer daran teilgenommen“, erzählt mir Michael Teutsch in seinem Büro in Brüssel. Als Referatsleiter ist Teutsch für die Koordinierung von Erasmus+ zuständig, das heißt, er leitet die nationalen Erasmus-Agenturen bei der Umsetzung dieses Austauschprogramms für Studierende und Lehrkräfte im europäischen Hochschulwesen. Er erklärt, wie sie dabei zum Beispiel den Zug dem Flugzeug vorziehen. Das ist wirklich eine Veränderung gegenüber den Anfängen, als das Flugzeug im Erasmus-Logo als Symbol für Reisen stand, wie mir Alan Smith in Bonn erzählte.
Der gebürtige Deutsche Teutsch arbeitet seit 2001 in Brüssel und ist seit 2017 an Erasmus+ beteiligt. Dieses Programm, das – ganz erasmisch – Menschen durch Bildung aufklärt und verbindet, gilt als eine der sichtbarsten Erfolgsgeschichten der EU. Den Stolz auf diesen Erfolg erkenne ich übrigens nicht sofort an der Fassade, wenn ich die Josef-II-Straße im Brüsseler Europaviertel herunterradle.
Erasmus als europäisches Symbol
Michael Teutsch erzählt mir, dass Erasmus als Marke inzwischen so stark ist, dass sie sich nicht mehr auf das Akronym (European Community Action Scheme for the Mobility of University Students) stützt (und es ist heute nicht mehr auf Universitätsstudenten beschränkt). Auch die Geschichte von Europas Lehrmeister par excellence, Desiderius Erasmus, ist nicht mehr unbedingt allen Teilnehmern bekannt. Das finde ich natürlich sehr schade. Erasmus‘ pädagogische Ideen über Frieden, Vernunft und Verantwortung passen immer noch sehr gut zu denen der EU, und man muss nur Stefan Zweigs Erasmus-Biographie lesen, um zu sehen, wie gut Erasmus ein verbindendes Symbol für das heutige Europa sein könnte.
Apropos Symbole: Laut Michael Teutsch gibt es eigentlich kein Netzwerk ehemaliger Teilnehmer des Erasmus-Programms, auch wenn es Netzwerke von Studienenden und Auszubildenden gibt, wie das Erasmus Student Network. Zu Erasmus‘ Zeiten gab es eine Gelehrtenrepublik (Res publica literaria), in der sich Menschen aus ganz Europa vereinigten, die aus der Ferne miteinander in Kontakt blieben. Könnte eine neue Gelehrtenrepublik nicht als Modell für ein Erasmus-Alumni-Netzwerk dienen? Teutsch dachte zunächst, dass dies eher elitär klingen würde, wurde aber auf andere Gedanken gebracht, von Erasmus‘ Ansicht, dass mehr Einfluss und Wissen die Menschen eigentlich zu mehr Verantwortung zwingt.
Am Ende unseres Gesprächs stellen wir einige Banner zusammen, die als Hintergrund für ein Foto dienen, das ein italienischer Kollege gemacht hatte. Ich danke Michael Teutsch für die Gastfreundschaft. Und wie schön und verdienstvoll wäre für mich, wenn auch nur ein kleiner Teil der Millionen von Erasmus-Austauschern etwas von den erasmischen Idealen mitbekommen würde.